EPISODE CHRISTIAN

18. Januar 2021

Meine Entscheidung, über Weihnachten und Silvester, nicht in die Heimat zu fahren, kam Zuhause verständlicherweise nicht allzu gut an. Doch bereitete mir der Gedanke Bauchschmerzen, eng auf eng mit der Familie zusammen zu sitzen, darunter die Großmutter, die noch vor einigen Jahren wegen einer verschleppten Erkältung beinahe den Exitus angetreten hätte und nun mitten in der Pandemie nach längerem Zureden davon überzeugt werden konnte, auf ihren Geburtstag im Januar zu verzichten.

Am Telefon wird das Unverständnis gegenüber meiner Entscheidung nur wie folgt kommentiert: „Überlege es dir nochmal und dann kommst du gefahren“. Herrlich! Ich habe eine Wahl zu treffen, bei der mir nur eine Option präsentiert wird. Aber immerhin habe ich dann gewählt.

Jetzt sitze ich seit einem Jahr in Nürnberg. Alle Planungen, die für 2020 angedacht waren, mussten Corona weichen. Ich arbeite in einem Museum, eben die öffentlichen Einrichtungen, die über Monate nicht einmal in Verordnungen usw. erwähnt wurden. Seit November sind sie wieder geschlossen. Eine Wiedereröffnung vor Ostern, klingt schon nicht mehr nur optimistisch, sondern in Teilen schon utopisch.

Die Heimat grüßt nur noch vereinzelt. In der Regel geht dem aber auch immer voraus, dass ich irgendwo, irgendetwas gemacht habe, das öffentlich etwas Aufmerksamkeit erregt hat. Trafohäuschen mit Mülltüten verhängen und die Erwähnung dieser Aktion in einem TV-Bericht oder ganz banal die ewig lange „Diskussion“ mit einer Verschwörungstheorien schwurbelnden Impfgegnerin. Kommt dann doch mal die Frage auf, ob ein digitales Treffen möglich wäre, ist meine Antwort immer dieselbe: „Jederzeit“.

Corona macht zu schaffen. Die Haare werden immer länger und immer grauer. Die Welt scheint immer weiter aus den Fugen zu geraten. Hinter jeder Ecke werden Verschwörungen vermutet. In den USA versucht sich ein Showmaster an die Macht zu putschen. „Corona-Diktatur“ wird zum Unwort des Jahres. Angst vor Überwachung habe ich keine. Allzu viel gibt es im Moment nicht zu überwachen und mein Bewegungsprofil kann man anhand der Furchen zwischen WG und Museum ausmachen.

An meinem letzten Tag vor dem Weihnachtsurlaub, den ich allein in einer leeren WG verbringen werde, drückt mir meine Chefin eine Flasche Wein in die Hand. An Heiligabend gibt es Rinderfilet, Rosenkohl mit Maronen und besagte Flasche Wein. Als Absacker Rum. Weihnachtsgrüße werden verschickt. Bei einer Rückmeldung wirkt dann auch der Alkohol bemerkbar. Ich schütte mein Herz aus. Enttäuschung, Wut, Angst. Alles dabei. Fazit: Situation ist scheiße, weitermachen, kann man halt nichts machen. Ich lege mich ins Bett.

Zwischen Heiligabend und Silvester putze ich die gesamte WG. Alles, das irgendwie kaputt erscheint wird repariert. An Silvester gibt es wieder Filet, gemischtes Gemüse und wieder Wein. Feuerwerk gibt es keins. Durchatmen. Auf ein neues Jahr. Nur noch ein Jahr.

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