EPISODE STELLA

20. Januar 2021

Der Wecker klingelt früh. 5.50 Uhr, jeden Tag. Ein bisschen Sport, duschen, anziehen, Frühstück, Schreibtisch. Routine ist das, was mir am meisten hilft. Die Maxime dieser Pandemie heißt für mich: Bloß keine Langeweile aufkommen lassen. Genug zu tun habe ich, weil ich täglich an meiner Dissertation sitze, die sowieso langfristig ausgelegt ist. An anderen Tagen bin ich im Büro, überlege mir kreative Projekte für die Geburtstage von Freund:innen, trainiere, lese, spiele mit den Katzen. Wenn ich ehrlich mit mir selbst bin, weiß ich gar nicht mehr genau, was das heißt: sich langweilen. Das klingt privilegiert, aber es ist auch ein Verdrängungsmechanismus. Verdrängt wird die soziale Einsamkeit, aber auch die kulturelle Leere, die mich mehr belastet, als ich es zugeben will. 

Normalerweise laufen um diese Zeit langsam die ersten traditionellen Big-Band-Gigs an, Kunstraum.-Planungen stehen in den Startlöchern, das neue Jahr beginnt für das Rüsselsheimer Jugendorchester mit der Orchesterfahrt. Mein Jahr ist normalerweise durchzogen von Veranstaltungen, auf die sich Menschen lange im Voraus freuen. Vieles davon will öffentlichkeitswirksam vorbereitet werden, vieles davon ist gut für die Seele, alles davon fehlt – nicht nur mir. Mit jeder neuen Absage eines (schon zum zigsten Mal verschobenen) geplanten Termins frisst sich der Frust tiefer ins Gemüt. „Ohne Kunst & Kultur wird’s still“ ist der Appell der Szene an die Politik. Dabei bezieht sich das kaum nur auf das tatsächliche Verstummen in den Kulturstätten. Dass es vor allem in uns drin still wird – ganz gleich, ob wir nur Kunst genießen, sie organisieren oder selbst erzeugen, auf professioneller Ebene oder als Hobby –, wird mit jedem Pandemie-Tag deutlicher. Für Kulturschaffende ist wahnsinnig müßig und niederschmetternd, ständig über Ideen und Auftrittsmöglichkeiten zu sprechen, wenn kaum klar ist, ob und wann sie umsetzbar sind. Weitergehen muss es aber, davon bin ich überzeugt – oder zumindest bin ich noch nicht bereit, aufzugeben. Und deshalb will ich, trotz all der Verdrängungsstrategien, ein bisschen Kulturplanung Teil meiner Routine werden lassen. Gemeinsam mit Leuten, denen es ähnlich geht, und die Lust haben auf Zukunftsmusik. Wie die klingt, weiß keiner. Aber die Energie dafür ist noch da. 

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